Donnerstag, 8. März 2018

März 2018: Transparenz 2/3

Was ist gemeint wenn wir von Transparenz sprechen? Ist es der völlig unverstellte Blick auf das Objekt der Betrachtung? Ist ein komplett unverstellter Blick überhaupt möglich oder liegt neben den objekteigenen Verhüllungen nicht immer auch ein Perzeptionsfilter, aus den Erfahrungen und Einstellungen des Betrachters bestehend, zwischen dem Objekt und dem Betrachter. Könnte man dann Transparenz als Abwesenheit dieser Filter und Verhüllungen definieren? Oder ist es gerade umgekehrt, ist der Filter (die) Transparenz? Meiner Meinung nach liegt die Unterscheidung, ob ich Transparenz als Abwesenheit der Filter oder als die Filter/Hindernisse selbst betrachte in der Komplexitätsdifferenz von Objekt und Betrachter begründet. In einer direkten Beziehung wie sie bei der Betrachtung eines einfachen Bildes vorliegt, also bei freiem Sichtfeld auf ein statisches Objekt, ist der Anteil der objektseitigen Transparenz bzw. Intransparenz in der Regel grösser. Transparenzherstellung liegt hier in aller Regel beim Objekt. Der umgekehrte Fall liegt vor, wenn das Objekt eine höhere bzw. massiv höhere Komplexität aufweist als der Betrachter oder um beim Beispiel Bild zu bleiben, wenn ein Betrachter eine höhere Betrachtungstiefe erreichen muss um der Komplexität des Gemäldes gerecht zu werden. Die Betrachtungstiefe entsteht aus den kognitiven Fähigkeiten des Betrachters sowie seinem Vorwissen, das ihm ermöglicht, das Objekt in seinem Kontext nicht nur zu sehen, sondern auch zu deuten.

Gehen wir davon aus, dass es nicht möglich ist einen unverstellten Blick oder eine omnidirektionale Sicht und diese auch noch auf holistische Art auf ein Objekt zu erhalten, dann macht es Sinn Transparenz als Filter zu sehen. Eine Betrachtungsweise die kontra-intuitiv ist, Transparenz ist ja im allgemeinen Verständnis gerade die Abwesenheit von Verhüllung. Und je nach Verhüllungsgrad des Objektes bzw. der Rezeptionskompetenz des Betrachters ist dieser Filter mehr oder weniger durchlässig.

Im untenstehenden Blogbeitrag habe ich auf die innere Veränderung des Stasi-Hauptmannes im Film "Das Leben der Anderen" verwiesen. Die omnisensorische, voyeuristische Einsichtnahme in das Leben der Observierten führte zu einem Rückkoppelungseffekt auf den Beobachter. Mit dem Rückkoppelungseffekt greift das Beispiel vom Filter aber zu kurz. Ein Filter wird in der Regel in einer Einwegfunktion benutzt und könnte einen Rückkoppelungseffekt nicht erklären. Eine bessere Analogie zum Begriff Transparenz ist somit eine Membrane.

Wenn wir totale Transparenz als uneingeschränkte Sicht auf das Objekt verstehen und erkennen wir die Unmöglichkeit totaler Transparenz an, dann ist Transparenz ein Zustand zwischen totaler Nicht-Transparenz und totaler Transparenz. Wobei die Zustände als stufenlos zu verstehen sind. Zum Wesen nicht-totaler Transparenz gehört das vorhanden sein von unbekannten Räumen von denen wir nichts genaues wissen, also weder wissen ob sie überhaupt vorhanden sind, noch wie sie ausgestaltet sind, so sie existieren, wir also auch nicht wissen können wieviel wir von ihnen wahrnehmen. Somit können wir auch nie wissen, wo wir auf der Skala zwischen totaler Transparenz und totaler Nicht-Transparenz stehen.

Eine teilweise Transparenz ist trotzdem nicht gleichzusetzen mit totaler Intransparenz, da eine Eingrenzung der nicht-transparenten Aspekte des Objektes oftmals möglich ist. Eine Zugangsmöglichkeit liegt im Erfahrungswissen, das gewisse Konstellationen im Objekt mehr oder weniger wahrscheinlich macht, beziehungsweise andere Konstellationen auf Grund des Kontextes in dem das Objekt steht, von vorneherein ausgeschlossen werden können. Der frühere amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sprach im Jahre 2002 auf einer Pressekonferenz von den „known Knows, den „known unknowns“ und den „unknown unknowns“ also den Dingen von denen wir wissen, dass wir sie wissen, von den Dingen von denen wir wissen, dass wir sie nicht wissen und den Dingen von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen oder um es mit Nassim Taleb zu sagen: den schwarzen Schwänen.

*„There are known knowns; there are things we know we know. We also know there are known unknowns; that is to say we know there are some things we do not know. But there are also unknown unknowns – there are things we do not know we don't know.“ Donald Rumsfeld 2002

Freitag, 12. Januar 2018

Februar 2018 - Transparenz 1/3

Januar 2018: Transparenz 1/3

Als das Nachbarhaus abgerissen und durch die moderne Version einer Blockrandverbauung ersetzt wurde, begann ich mich mit dem Begriff Transparenz zu beschäftigen. Im Rahmen der üblichen innerstädtischen "Aufwertung", erneuerte sich auch die Nachbarschaft. Von eher kleinen Fenstern mit gezogenen Vorhängen, wechselte das Bild zu grossen Fenstern mit offenen Vorhängen. Unfreiwillig wurde ich Zeuge der Aktivitäten meiner neuen Nachbarn, sobald ich aus dem Wohnzimmerfenster blickte. Aber wollte ich das auch wirklich? Und würde ich meine häuslichen Verrichtungen mit der Welt teilen wollen? Die Banalitäten meines Alltages wollte ich niemandem ungefragt zumuten, wie ich auch keinen direkten Blick auf die privaten Essgewohnheiten meiner Nachbarn suchte.

Im Film "Das Leben der Andern" von Florian Henckel von Donnersmarck aus dem Jahre 2006, wird die innere Wandlung eines Stasi-Agenten erzählt, der mit der umfassenden Observierung eines Künstlerpaares, Einblick in ein ganz anderes Leben erhält und so sich mit seinen eigenen Umständen auseinanderzusetzen beginnt. Hier liegt - durch die umfassende Ueberwachung, die Situation eines perspektivischen Panoptikons vor, die aber entgegen der ursprünglichen Absicht Benthams, nicht (nur) zu einer Veränderung des Verhaltens der Beobachtenden führt, sondern dem Beobachter innere Räume auftut, die ihm bisher verborgen waren und ihn somit verändern. Wäre die Veränderung beim observierenden Stasi-Agenten auch zu Stande gekommen, wenn er nicht eine bewusste Grenzüberschreitung in einen ihm zuvor intransparenten Raum begänge? Das Erregungsmoment des Tabubruches kann zu einem Treiber der Reflexion werden. Vorausgesetzt ein Bewusstsein für den Tabubruch ist überhaupt vorhanden. Was nicht zwingend ist, denn sonst wären die klassischen Fenster- und Garderobenvoyeure allesamt Mitglieder der philosophischen Elite oder die philosophische Elite bestünde aus ebensolchen. Transparenzherstellung findet also in einem inter- und intrapersonalen Raum statt.

Zu den oben genannten eher persönlichen und direkten Anstössen zur Auseinandersetzung mit dem Thema, kommen die täglichen Nachrichten aus der Welt der Politik oder Wirtschaft. Wir wollen wissen wie unsere Parteien finanziert sind, was in unsere Nahrungsmittel gemischt wird und ob die Medikamente, die uns verschrieben werden auch wirklich helfen. Je mehr unser tägliches Leben von Systemen bzw. den Manifestationen davon, den Organisationen, definiert wird und je mehr Zeit wir in Organisationen verbringen, je mehr müssen wir über Organisationen wissen um überhaupt systemadäquat agieren zu können. Transparenzbedarf besteht also auch zwischen Individuum und System.

Nach jedem politischen oder wirtschaftlichen Skandal kommt die Forderung nach mehr Transparenz auf. Zurecht werden transparente Prozesse gefordert und wenn uns Transparenz dann geliefert wird, scheint es doch nie genug zu sein. Das in der geäusserten Forderung nach Transparenz mitschwingende Misstrauen überträgt sich offenbar auch auf die transparenzschaffende Aktion bzw. deren Bewertung. Transparenz hat also auch immer mit Vertrauen zu tun.

Gerade der letzte Aspekt - Transparenz und Vertrauen - spielt in der Zeit der digitalen Disruptionen und der Komplexität der uns umgebenden Systeme, eine entscheidende Rolle. Denn die Forderung nach der Transparenz setzt ja voraus, dass so etwas wie totale Transparenz überhaupt möglich ist. Daran zweifle ich, ist doch immer ein Teil des betrachtenden Objektes im Verborgenen, sei es durch meinen physischen Standort, der keinen unverstellten Blick auf das Objekt erlaubt, oder die Perspektive keine ganzheitliche Erfassung zulässt.

Im Verhältnis zwischen Individuum und (hoch-) komplexem System gibt es den Perzeptionsfilter des Betrachters, dessen Durchlässigkeit von der Bewertungsfähigkeit der systemischen Prozesse durch den Betrachter abhängt. Das heisst, auch bei theoretisch vollständig offengelegten Prozessen, werden diese erst transparent wenn eine Antizipierbarkeit der Abläufe durch den Betrachter möglich ist. Und Abläufe in ihren Auswirkungen auf sich selbst antizipieren zu können, setzt voraus, dass man sie bewerten kann. Um sie bewerten zu können, müssen sie vom System her offengelegt, also transparent sein. Das Individuum muss aber auch in der Lage sein eine Bewertung vorzunehmen, was voraussetzt, dass das Individuum ein umfassendes Verständnis der Prozesse hat. In einem einfachen System mag dieses Verständnis noch bei den meisten Akteuren in Bezug auf die wichtigsten Prozesse vorhanden sein, sie somit antizipieren können, die Akteure können sich also auf die bekannten und erkannten Prozesse verlassen. In einem komplexen System kann man jedoch nicht mehr ein genügendes Verständnis für die meisten Prozesse entwickeln. In einem hochkomplexen-dynamischen System wissen die meisten Akteure nicht einmal mehr genau, welche Prozesse wann die wichtigen sind. Selbst bei grundsätzlich offengelegten Prozessen müssen sie darauf vertrauen, dass sie sich auf diese verlassen können.

Betrachtet man Transparenz unter dem Aspekt des Vertrauens, so kann man aus oben gesagtem eine Definition für hochkomplexe Systeme ableiten: Ein System ist dann hochkomplex, wenn die Mehrheit der Systemakteure in Bezug auf die meisten Prozesse darauf vertrauen muss, dass sie sich auf diese verlassen kann.

Akzeptiert man obige Definition als Prämisse, kann man die These aufstellen, dass die Zeichen der Zeit, wie sie sich zum Beispiel in der Personalisierung der Politik manifestieren oder in der Wahl von Gemeinplätzen absondernden Politikneulingen zu Präsidenten, auf eine Suche nach dem vertrauten Umfeld hindeuten. Auch das Fokussieren auf Teilrationalitäten, das sich beispielsweise in der Verabsolutierung von Ernährungsweisen oder Identitäten manifestiert, ist in gewissem Sinne ein Rückzug ins Ueberschaubare, der Versuch Handlungsmacht zurückzugewinnen.

Teil 2 (Begriff der Transparenz) folgt Anfang März und mit Teil 3 (Operationalisierung des Gesagten) wird diese kleine Trilogie zum Thema Transparenz per Ende März abgeschlossen.

(Copyright: Urs Luescher)